Carmen Sylva – Zur Namenswahl
„Glück ist das einzige, was wir anderen geben können, ohne es selbst zu haben.“
Weshalb ist für unseren Verein Carmen Sylva Haus e.V. dieser Name vorgeschlagen worden?
Zur Vereinsgründung am 26.August 1983 erschienen u.a. zwei besondere Gäste, die uns vom Leben der Namenspatin bzw. von den eigenen Erlebnissen an ihrem Lieblings-Aufenthaltsort berichten konnten. Es wäre an jenem Abend nicht möglich gewesen, von der Sicht dessen, der die Benennung vorgeschlagen hatte, hinreichend darzustellen, wie er dazu gekommen war. Das soll nun schriftlich versucht werden.
Warum überhaupt eine historische Persönlichkeit „bemühen“? Hat es sich im Raume Wuppertal bewährt, dass es hier neben der Rudolf-Steiner- die Christian-Morgenstern-Schule gibt, damit das Troxler-Haus, auf dem Troxler-Hof das Haus Guggenbühl, auf Hof Sondern die Werkgemeinschaft Alfred Rexroth und im Felderbachtal den Marienhof, bei dessen Namen wir buchstäblich an mehrere Marien denken?
Es kommt sicher darauf an, ob wenigstens einer der jeweiligen Mitarbeiter sich für die betreffende Biografie tatsächlich interessiert und nach Kräften darüber hinaus sich vorzustellen sucht, wie man zu der betreffenden Urbild-Individualität in eine reale geistige Verbindung kommen könnte. Deshalb ist die Anregung zu dieser Darstellung ungemein zu begrüßen.
Carmen, der Gesang und silva, der Wald (die Zusammensetzung müsste eigentlich „carmen silvae“ lauten, klänge aber nicht so gut) – unter diesem Dichternamen schrieb Königin Elisabeth von Rumänien, geborene Prinzessin zu Wied (1843-1916), rund fünfzig Bücher. Sie war äußerst fleißig, fing schon nachts um 3Uhr mit der Arbeit an. Verfertigte tagsüber vielfach kunstvolle Tischdecken und anderes, unterwies darin oft Mädchen und Frauen, gab unermüdlich Audienzen, um ihrem Gatten beizustehen, den sie bis zuletzt sehr verehrte. Der gebürtige Hohenzollernprinz ist unter dem Namen Carol I. als Schöpfer des neuen Rumänien in die Geschichte eingegangen.
Unzählige wohltätige Einrichtungen hat sie, die am liebsten Volksschullehrerin geworden wäre, während ihrer 47-jährigen Tätigkeit im östlichsten der romanischen Völker angeregt, mitbegründet und betreut. Wer Näheres darüber erfahren möchte, kann es in einem Buch nachlesen, das 1983 herausgekommen ist. Von Hildegard Emilie Schmidt: „Die Förderung von Kultur und Bildung in Rumänien durch die Königin Elisabeth“ (nach bisher unveröffentlichten Quellen des Fürstlich-Wiedischen Archiv in Neuwied).
„Glück ist nicht in einem ewig lachenden Himmel zu suchen, sondern in ganz feinen Kleinigkeiten, aus denen wir unser Leben zurechtzimmern.“
Schon mit 12 Jahren verteilte sie eines Tages in einem Krankenhaus ihrer Vaterstadt 24 selbstgenähte Nachthemden. Während des russisch-türkischen Krieges (1877/78), in dem ihre Wahlheimat mit hinein gezogen wurde, entfaltete sie eine später in ganz Europa bewunderte Aktivität, nicht nur vom Throne herab organisierend, sondern auch ganz schlicht als eine der „Barmherzigen Schwestern“. Mutig assistierte sie bei gefährlichsten Operationen, ersann kleine Freuden für die in Schmerzen jammernden Verwundeten und fand tröstende Worte für die Sterbenden. Ihre Freundin Mite Kremnitz sagt in einer Biografie, Elisabeth habe in dieser schweren Zeit Erregung und Ermüdung mit eisernen Nerven ertragen und ihr Frohsinn sei dabei sogar noch gewachsen.
Intensive Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod begannen schon in der Kindheit. Beide Eltern bedurften wegen psychischer Leiden der Pflege ihrer einzigen Tochter. Der Jüngere von zwei Söhnen war schon mit schweren organischen Gebrechen ins Leben getreten. Hilflos musste die Familie oft zuschauen, wie er sich in Qualen wand, bis er mit 12 Jahren den sichen Körper ablegen durfte: eine überaus feine, frühgereifte Seele. Pastor Carl Harder, einer von Elisabeths Hauslehrern, bei dem sie allsonntäglich auch die Predigt hörte, konnte ihr damals, wie sie in „mein Penatenwinkel“ erzählt, gerade dadurch halt geben, dass ihm all seine 6 Kinder gestorben waren. Er wusste: sie hatten vor dem Erdendasein schon längst im Himmel gelebt.
Viel Trost brauchte später die Königin, als ihr einziges Kind mit vier Jahren einer Diphterie erlegen war und sie danach nur noch Fehlgeburten erlebte, acht oder zehn Mal. Welch ein hartes Schicksam an sich – und wie erst in diesem Falle, wo die Nation sehnsüchtig auf den Thronerben wartete! Was aber die Leidgprüfte aus Allem noch stärker hervorgehen ließ. Das war – über die Präexistenzanschauung des väterlichen Freundes hinausgehend – die Überzeugung von Reinkarnation und gesetzesmäßigen Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Erdenleben.
Mit der Anthroposophie Rudolf Steiners kann sie nicht vertraut gewesen sein; das erkennt man am Stil ihrer Aussagen. Sie war eine Seelsorgerin unter den Poeten – wie in anderer Art ihr Zeitgenosse Peter Rosegger. In vielen ihrer Dichtungen war sie zweifellos eine Epigonin. Wertvoll ist gewiss, was sie aus der Volksliteratur ins Deutsche übertragen hat.Immerhin war sie ein stetig übender Mensch, auch im Musizieren (Klavier und Orgel), im bildnerischen Gestalten (u.a. begabt im portraitieren) und im Entwickeln künstlerischer Ideen für Gebäude und Innenräume. Etwas Geniales hat sie zumindest im Umgang mit Rat und Hilfesuchenden.
Heute ist sie im Allgemeinen eine Vergessene. Keines ihrer Werke (bzw. jener zwei oder drei die sie unter anderem Pseudonym mit der Freundin Kremnitz gemeinsam verfasst hat) ist in den letzten Jahrzehnten neuaufgelegt worden. Und es gibt nirgens eine wohltätige Einrichtung, die den Namen Carmen Sylvas trägt, von einem Stadtgarten und einem Ausflüglerschiff in Neuwied abgesehen. Bei jenen Benennungen sah man bloß die späte Romantikerin. Wir dagegen dürfen in der fast nur noch lokal bekannten Tochter des Rheinstädtchens eine Schriftstellerin erblicken, die in einem Punkt alle großen Denker des 18./19. Jahrhunderts übertroffen hat, und zwar mit ihren fünf Bändchen Geflüsterte Worte (1908-1912), nicht nur durch die Fülle origineller Ausführungen über Wiederverkörperung und Schicksalszusammenhänge, sondern vor allem durch den wahrhaft christlichen Duktus in ihren Gedankengängen.
Abbildung von Franz Mandy, Elisabeth zu Wied (Carmen Sylva) Public domain, via Wikimedia Commons